Wolken können auch sonnig sein … – Über Bibelclouds

Ich halte ein Exemplar von „Bibelclouds“ in Händen, das Cover schaut mich an, frisch, luftig, aufgelockert, bunt, einladend. Normalerweise bewirken zu viele Wörter auf einem Cover genau das Gegenteil, und ein markantes Bild sagt mehr als 1000 … Aber tagclouds sind tagclouds, und Wortwolken sind Wolken aus, Zusammenstellungen von einzelnen Wörtern. Eine tagcloud o.W. ist also wie Wasser ohne Fische. Nur schlimmer.

Fruehsommer am Sodenberg_Oliver Mohr_pixelio.deFoto: Oliver Mohr / pixelio.de

„Bibelclouds“ – der Titel drückt aus: Es geht um die Bibel. Für viele (gerade junge) Menschen scheint sie etwas Verstaubtes, Uncooles zu sein, etwas „zu Religiöses“. Weit weg vom Alltag und der Realität.

Allerdings: Wer – wie ich – die Bibel liest (oder hört), macht das, weil in ihr Kraft steckt, weil in ihr sehr viel Alltag und Realität drinnen steckt, weil sie uns Positives mitgibt: Hilfe, Unterstützung auf dem Lebensweg. Wir lesen Lebenserfahrungen von Menschen damals, die auch heute noch Sinn haben und geben und in heutigen Lebenssituationen Mut machen und Entscheidungshilfe sein können.

Dass die Bibel aber gelesen (gehört) wird, dazu braucht es einen Auslöser. Die Frage also lautet: Wie kommt es dazu, wie könnte die Bibel „abgestaubt“, frisch wirken? Was bräuchte es, um die Bibel einmal versuchsweise in die Hand zu nehmen?

Einen Ratgeber in 10 Schritten?1 Ein tolles wissenschaftliches Werk über Bibellesen? Eine Werbung im Radio? Zeugen Jehovas an der Haustür?

Cover Bibelclouds

Das Buch von Martin Wolters, das ich in Händen halte bzw. mittlerweile neben mir auf dem Tisch liegt, ist ein Versuch, über ein aktuelles ästhetisches Medium Menschen auf die Bibel aufmerksam zu machen. Es ist somit an der Schnittmenge Ästhetik – Bibel angesiedelt … Diese Schnittmenge ist derzeit nicht die größte, sog. „Prachtbibeln“ kann man dazuzählen; früher, im Mittelalter, zeugten Kalligrafie und Buchmalerei gerade bei Bibelausgaben von einem wachen Sinn für Ästhetik.  „Bibelclouds“ schafft es, diese Schnittmenge wieder zu bedienen, in einer Zeit, in der Ästhetik wichtig ist wie lange nicht mehr. Bewusst stellt das Projekt sich in das Sprachspiel tagcloud  der Internet-Generation und verwendet das Medium Wortwolken spannend anders, spannend fremdartig.

Kein Blog, keine Internetseite wird wortästhetisch auf einen Blick nähergebracht, nein, es sind die einzelnen Bücher der Bibel, die besondere Aufmerksamkeit bekommen und verlangen. Aufmerksamkeit, die m.E. schnell geschenkt wird: Es ist ein Buch zum Blättern und Stöbern – man stöbert gern drin herum. Dabei hilft der Aufbau: Jedes einzelne Buch des „Buches der Bücher“ (= der Bibel) hat hier eine Doppelseite Platz.2

bibelclouds_1_levitikus_ausschnitt_sollenBibelcloud zu Levitikus (Ausschnitt); aus: Martin Wolters, Bibelclouds. Die Bibel anders sehen. © Patmos Verlag in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2012

Jeweils auf der rechten Seite ist ein biblisches Buch (z.B. das Markusevangelium) mit einer tagcloud dargestellt: Je häufiger ein Wort vorkommt, desto größer ist es dargestellt; je länger das biblische Buch ist, desto mehr Wörter kommen in der Wolke vor. So merkt man auf den ersten Blick einen großen Unterschied zwischen Genesis (mit seinen 50 Kapiteln) und Obadja (mit 21 Versen die kürzeste Schrift des AT), oder inhaltlich zwischen Levitikus („sollen“ als häufigstes Wort), Kohelet („Windhauch“), Jesaja („Herr“ als Umschreibung für den Gottesnamen) und  dem Hohelied („Geliebter“; und dazu „Liebe“, „Freundin“, „schön“, „Augen“, „Töchter“, „Brüste“, …). Das ist die größte Stärke des Projekts: Bibel(vor)kenntnisse sind keine nötig; wem tagclouds vertraut sind, orientiert sich schnell.

bibelclouds_2_hohelied_ausschnitt_geliebterBibelcloud zum Hohelied (Ausschnitt); aus: Martin Wolters, Bibelclouds. Die Bibel anders sehen. © Patmos Verlag in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2012

Die Bibelclouds wollen so zu einer Entdeckungsreise einladen. Mich „Bibel-Fortgeschrittenen“ erwischte das Buch mit Aha-Erlebnissen. Einzelne Stichwörter aus einzelnen biblischen Büchern erstaunten/überraschten/lehrten mich Neues ob ihres großen Vorkommens:

  • „Haus“ (im Markusevangelium – nicht alles auf Sandalen passiert unterwegs …);
  • „Vater“ (nicht nur im Johannesevangelium, sondern auch im Matthäusevangelium zentral)
  • Wörter wie „sagen“/“hören“/“Wort“ in der Apg (hat mich in meiner Lesart des Pfingst-/Geistgeschehens in Apg 2 als Kommunikationsgeschehen bestätigt);
  • „Nachkommen“ (in Esra und Nehemia);
  • „Bergland von Esau“ (Obadja – ich kenne die „kleinen Propheten“ viel zu wenig!);
  • „Heuschrecken“ (ein aktuelles „Schmähwort“3, auch schon im Buch Nahum eindrücklich verwendet).

bibelclouds_4_nahum_ausschnitt_heuschreckenBibelcloud zu Nahum (Ausschnitt); aus: Martin Wolters, Bibelclouds. Die Bibel anders sehen. © Patmos Verlag in der Schwabenverlag AG, Ostfildern 2012 – ein herzlicher Dank an Herrn Wolters für die Bereitstellung der Grafiken!

Auf der linken Seite finden sich dazu jeweils leicht verständliche Einleitungen in die einzelnen biblischen Bücher; dabei werden immer auch einige Stichwörter aus der Bibelcloud (in Kursivschrift = gut sichtbar) aufgegriffen und in den Kontext des biblischen Buches eingebunden. Eine innovative Form der Einleitung!

Mein Resümee: Ich denke, das Buch kann es wirklich schaffen, dass (jüngere) Menschen die Bibel einmal versuchsweise in die Hand nehmen. Die heute weit verbreitete Vertrautheit mit tagclouds bildet die Brücke und weckt Interesse am Inhalt – sogar bei fortgeschrittenen Bibel-LeserInnen. Ein gelungenes Projekt!

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Eine andere Rezension

Bibelwerk Linz (hier arbeite ich seit kurzem)

***

1 Es gibt allerdings einen guten Ratgeber, in 25 Schritten, von Andrea Schwarz; erscheint in Kürze in überarbeiteter Ausgabe.

2 Alleine das lässt schon aufmerksam werden: Die Bibel ist nicht ein ewig langer „Schinken“, den man auf einmal lesen sollte, sondern sie ist auch und v.a. in Häppchen, portionsweise genieß- und lesbar.

3 Die „Heuschrecken“-Assoziation des SPD-Politikers Franz Müntefering ist mittlerweile auch schon 8 bis 9 Jahre her (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Heuschreckendebatte).

4 Antworten zu “Wolken können auch sonnig sein … – Über Bibelclouds

  1. Klingt spannend!!
    Danke für den Tipp, werd das Buch gleich mal selbst ansehen (arbeite ehrenamtlich in einem christlichen Buchgeschäft, bin immer neugierig 🙂 )
    lieben gruß aus tirol
    der theolunke

    • Abgesehen davon, dass es darum in meinem Beitrag nicht geht, bin ich mit dir nicht ganz einer Meinung. Ja, Menschen haben (über Jahrhunderte und vor langer Zeit) die Texte geschrieben, die wir heute als „Bibel“ kennen, und darum ist auch sehr viel Menschliches enthalten, auch einiges, was damals „üblich“ war; aber entscheidend sind (für heutiges Lesen) nicht Einzeltexte, sondern der Duktus, der sich durch die Bibel zieht, die Hauptmessage: Menschen fühlen sich von einem Gott begleitet, der es gut mit den Menschen meint. (Und im Rückblick, als sie die Texte sammelten, sagten die Menschen einer Glaubensgemeinschaft: Das, was geschrieben ist, ist mehr als menschliches Wort, weil es weit darüber hinausweist …)
      Eine ausführlichere Antwort kann ich gern schreiben, wenn ich wieder mehr Energie dafür habe …

      • Hallo du, vielen Dank für deine Antwort!

        Ich bin mit dir einverstanden, dass es eine Richtung in der Bibel gibt.
        Dennoch sehe ich nicht ein, warum die Bibel inspirierter als nicht-biblische Texte sein sollte.
        Ich sehe die Bibel wie ich sehe Bücher von C.S. Lewis an. In beiden Fällen handelt es sich um menschliche Gedanken, aber durch ihre echten Erfahrungen mit Gott können sie durchaus richtige Sachen über IHN schreiben. Genauso wir als einfache Gläubiger es auch tun können!

        Auf meinem Blog erkläre ich an vielen Stellen, wie man eine Theologie ohne eine irrtumslose Bibel aufbauen kann, und du wärst herzlich willkommen, meine Ideen zu kritisieren, sodass ich sie verbessern oder sogar aufgeben kann.

        Ich mag sehr offene und liebe Austäusche zwischen Menschen mit verschiedenen Standpunkten.

        Liebe Grüsse aus Lothringen.

        Lothars Sohn – Lothar’s son

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